Portraits

Das Abenteuer Auswanderung

Die folgenden Menschen wagten das Abenteuer Auswanderung – oft mit sehr wenig Gepäck und ohne zu wissen, worauf sie sich im neuen Land gefasst machen mussten.

Die Autorin ist ihnen dankbar für das Vertrauen und für die Ehrlichkeit, mit denen sie ihre Geschichten erzählten.

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Paul Anders – geboren 1921 in Heidersdorf,Schlesien

Obwohl er auf dem Lande, meilenweit vom Meer entfernt, aufwuchs, wünschte Paul Anders sich nichts sehnlicher, als zur See zu gehen. Er trat der Handelsmarine bei, und segelte auf der Adolph Woermann  der deutschen Ost-Afrika Linie. Gleich zu Beginn des Krieges wurde die Adolph Woermann von den Engländern gesichtet. Die Besatzung wurde nach England gesandt. Auf der Arandora Star sollten sie nach Australien gebracht werden, jedoch ein deutscher Torpedo sank das Schiff. Es ging zurück nach Schottland. 1941 ging die Reise wieder los. Paul Anders wurde ein „Dunera Boy“ …

Herr Anders starb am 2. November 2010 im Alter von 89 Jahren.

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Paul Anders mit seinem Goliath 1961

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George Dreyfus – geboren 1928 in Elberfeld, Nord Rhein Westfalen

George Dreyfus wuchs in Dahlem, Berlin in einem musikalischen Haushalt auf. Die frühen Angriffe auf Juden und Verbote speziell für Juden empfand er verwirrend und beängstigend. 1938 gelang es seinen Eltern, für ihn und seinen Bruder einen Platz auf einem jüdischen Kindertransport zu ergattern. Zusammen mit fünf anderen jüdischen Kindern trafen die beiden in Australien ein und wurden in einem jüdischen Kinderheim untergebracht. Den Eltern gelang es, einen Monat vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Deutschland zu entfliehen. Mit 14 Jahren began George seine musikalische Karriere, als er dem Orchester der Melbourne High School beitrat. Er spielte die Klarinette, und war bald als Mr. Music bekannt.  Ausdauer, harte Arbeit und Können machten aus George einen bekannten Komponisten, dessen Werke in Australien, Deutschland und weltweit aufgeführt werden. Auch für Musikuninteressierte ist sein ‚theme‘ für die Fernsehserie Rush ein Begriff. Sein neuestes Werk ist ein Tribut an seinen Vorfahren Alfred Dreyfus. Es wird 2013 in Melbourne uraufgeführt.

 George Dreyfus dirigiert

George Dreyfus dirigiert

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Ernst Erdmann – geboren 1912 in Friedrichswalde, Pommern

Ernst Erdmann kehrte 1945 aus französischer Kriegsgefangenschaft zurück und fand seine Heimat zerstört vor. Poster, die ein ‚sonniges Australien‘ verhießen, lockten ihn, die große Reise anzutreten. 1951, kaum angekommen, wurde er zum Snowy Mountain Scheme gesandt … „Gerade wenn es am schwersten war, blieb da immer noch ein Fünkchen Hoffnung. Der Wille zu überleben, verließ mich nie.“ Jahre später gründete Ernst Erdmann einen der ersten deutschen Schachclubs im Deutschen Club Tivoli. Herr Erdmann starb 4.9.2011 im Martin Luther Heim, Boronia. Er war 99 Jahre alt.

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Genie Fiebig – geboren 1929 in Warschau, Polen

„In Polen waren wir die Deutschen, in Deutschland die Polen“, erinnert sich Genie Fiebig. 1935 traf sie mit ihren Eltern in Melbourne ein, und wurde ‚ Nazi‘ geschimpft. Und als ob der Anfang nicht schon schwer genug war, wurde ihr Vater als ‚enemy alien‘ in Tatura interniert … Genie ist langjährige Organistin an der Deutschen Lutherischen Dreifaltigkeitskirche in East Melbourne.

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Genie Fiebig unterwegs nach Australien mit Mutter, Onkel und Bruder

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Marlis Knutzen Frazer – geboren 1930 in Schleswig, Schleswig Holstein

Als sie 11 Jahre alt war, sah die kleine Marlis Knutzen das Kriegsschiff Bismark aus dem Hafen von Gotenhaven auslaufen – es sollte der Bismarks letzte Fahrt werden. Als ihr Vater bei einem Unfall in der Torpedo Versuchsanstalt, in der arbeitete, umkam, kehrten die Mutter und Kinder nach Deutschland zurück. Ihr Haus in Schleswig war mit Flüchtlingen besetzt, so dass die Familie bei der Oma auf der Insel Föhr unterkam. „Die schönsten Jahre meines Lebens“, sagt Marlis. Nach dem Krieg gab es keine Arbeit für junge Mädchen, Marlis ging als Au Pair nach England. 1991 folgten sie und ihr irischer Mann, Dan, ihrem Sohn nach Australien …

1. Marlis 1948  The girl I fell in Love with - Dan

Marlis Knutzen 1948  – “The girl I fell in love with” (Dan Frazer)

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Fred Glasbrenner – geboren 1936 In Philadelphia,  aufgewachsen in Backnang, Baden Württemberg

Fred Glasbrenner bestieg eines schönen Tages im Jahre 1955 mit zwei Kameraden sein Fahrrad und sie radelten – bis Australien! Dort trafen sie gerade rechtzeitig zur Olympiade 1956 ein, die in dem Jahr in Melbourne stattfand. Fred gefiel es in Melbourne, und er blieb da. Er machte sich einen Namen als Abalone Fischer, und brachte die Melbourner in seinem Restaurant auf den Abalone Geschmack. Auch den Radrennsport hat er nie vernachlässigt. Heute hängt sein Photo in der Maillot Jaune Hall of Fame in Melbourne, in Anerkennung seiner jahrelangen Unterstützung und Mitwirkung im Sport.

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Fred und Kameraden verlassen Backnang, Dez 1955

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Karin Koeppen – geboren 1934 in Langenreichenbach, Kreis Torgau in Sachsen-Anhalt

Drei Fluchtversuche machte Karin Koeppen, bevor es ihr gelang, 1947 die Grenze zwischen Ost und Westdeutschland zu überqueren. 1956 traf sie in Australien ein, auf dem Weg nach Sydney verließ sie kurzerhand in Melbourne ihr Schiff, um  sich die Olympiade anzusehen. Sie traf ihren zukünftigen Mann, Willi, einen Koch, und eher zufällig kauften sie ein baufälliges Café in den Dandenongs. Als Karin an einem ihrer erster Morgen in Olinda einen Kuckuck hörte, nannte sie das Café/Restaurant „The Cuckoo“…

Das Quamby Cafe 1950

Das “Quamby” Cafe 1950

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Inga Martinow – geboren 1921 in Poserna,Sachsen

Inga Martinow traf 1948 auf einem der ersten Auswandererschiffe  nach dem 2. Weltkrieg in NSW ein. Mit ihrem Mann betätigte sie sich im Einwandererauffangslager Bathurst in einer verantwortlichen Position, bevor die Familie nach Melbourne umzog. Inga Martinow konnte wieder in ihrem Beruf als Bibliothekarin arbeiten, als hier Schulbibliotheken eingeführt wurden. Als es Inga gelang, ihre Mutter, Frau Jacobi, nachzuholen, wurde diese sofort im Vorstand der Australian German Welfare und in der Deutschen Dreifaltigkeitskirche tätig.

3. Weihnachten in Australien, 1961  Wito, Mutti, Alan, Percy, Inga

Weihnachten in Melbourne, 1961

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Sabine Nielsen – geboren 1952 in Wyk auf Föhr, Nordfriesland

Als Sabine Nielsen 1972 in Melbourne eintraf, war die Integration der Einwanderer in die Gastkultur erwünscht. Auch die Familie ihres australischen Mannes fand die Deutsche gewöhnungsbedürftig. Erst als Al Grasby den „Multi-Kulturismus“ ausrief, wurde es einfacher, die eigene, deutsche Kultur neben der Australischen zu leben. Wie Menschen die Einwanderung erleben, wie sie sich mit der großen Entfernung zur Heimat zurechtfinden, wie ihre Familien auf den „Abtrünnigen“ reagieren … all das faszinierte Sabine Nielsen. Die Gelegenheit, die Aussagen anderer Migranten aufzuzeichnen, hieß sie willkommen.

4. Heimatbesuch 1982

Heimatbesuch 1982

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Schwester Elizabeth Scheer  – geboren 1929 in Bochum, Nord Rhein Westfalen

Sister Elizabeth ist keine „richtige“ Auswanderin, sie wurde von ihrem Orden vom Heiligsten Herzen Jesu als Missionsschwester nach Australien gesandt. Eigentlich sollte sie 1953 weiterreisen nach Neu Guinea, aber dann  wurden in Melbourne dringlichst Lehrerinnen gesucht. Schwester Elizabeth arbeitete 33 Jahre im  Schuldienst, bevor sie Gemeindeschwester an der St Christophoros Kirche, Camberwell wurde. Schwester Eilzabeth hatte immer ein offenes Herz und Ohr für die Deutschen, die sich ihr zuwandten.

2. Schw Elizabeth Scheer mit ihrer Familie

Schwester Elizabeth mit ihrer Familie

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Fritz Schwab – geboren 1922 in Halle, Sachsen-Anhalt

Fritz Schwab wuchs in Berlin auf. Sein Vater, ein Politiker der Weimarer Republik und Jude, floh 1937 mit seiner jüdischenFrau und den Halbgeschwistern. Fritz blieb zurück und überlebte im Berliner Untergrund. 1954 traf er mit seiner Frau in Melbourne ein – in Bonegilla. Fritz Schwab ist vielen Deutschen in Melbourne bekannt dafür, dass er deutsche Magazine und Waren, die man hier nicht bekommen konnte (zum Beispiel ‚bunte Weihnachtsteller‘), einführte. Auch machte er sich eine Namen als Sportreporter in Deutschland und Australien – u.a.  bei „Die Woche“.

9. Fritz Schwab mit Willi Endrulat, Bonegilla, Sept. 1954

Fritz Schwab and Willi Endrulat in Bonegilla

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Pastor Ewald Steiniger – geboren 1901 in Linden an der Ruhr, Westfalien

1933 suchte die Deutsche Lutherische Dreifaltigkeitskirche in East Melbourne einen neuen Pastoren. Ewald Steiniger, der den Nazis durch seinen offenen Widerstand schon unangenehm aufgefallen war, bekam die Erlaubnis, auszuwandern. Er scheute keine Müh, Deutsche im Umkreis von Melbourne aufzuspüren und zu besuchen. Denunziert von Missgönnern wurde er verhaftet und in Tatura interniert. Bis zu seinem plötzlichen Tode 1964 kümmerte er sich um seine Gemeinde. Seine Geschichte wird von zwei seiner Kinder, Dieter und Anne Steiniger, die immer noch aktiv im Kirchenvorstand und in der Kirchengemeinschaft sind, erzählt.

1. Pastor Steiniger und Frau

Pastor Ewald Steiniger mit seiner Frau Annemarie

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Hermann Ralph Uhlherr – geboren 1934 in Jaffa, Palästina

Der Zweite Weltkrieg begann für Hermann Ralph Uhlherr, als sein Vater eines abends nach der Arbeit nicht nach Hause kam. Auf der Straße war er von britischen Soldaten verhaftet worden – weil er Deutscher war. Während der Vater nach Australien gesandt und in Tatura interniert wurde, begann für die Familie eine lange, beschwerliche Reise, die sie erst nach Deutschland führte, bevor sie 1949 wieder mit ihrem Vater vereint wurden – in Sydney. Hermann Ralph Uhlherr ist in seinem Glauben immer durch die Lehren der Tempelgesellschaft bestärkt worden. Er ist heute ein ernannter Ältester der Melbourner Gemeinschaft.

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Hermann Ralph Uhlherr mit seiner Frau Hertha und Enkelkindern

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Viele Auswanderer werden Ähnlichkeiten zu ihren eigenen Schicksalen entdecken. Die Geschichten sind aber auch für Menschen, die sich mit dem Gedanken an Auswanderung tragen. Für die, die ein Familienmitglied in ein fernes Land verabschiedet haben – oder die, die sich in ihrem eigenen Land von einer Flut neuer Einwanderer konfrontiert fühlen. Gleichzeitig erzählen sie das ‚Davor‘ – von all dem, was die Menschen prägte, bevor sie ihre Koffer packten und ihre Heimat hinter sich ließen. Ihre Erinnerungen trugen sie mit sich im Gepäck.

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